Staatssekretärin Susi Möbbeck schrieb dem WIN e.V. zum Integrationspreis 2016:
“ Auch wenn in diesem Jahr andere Preisträger mit dem Integrationspreis bedacht wurden, möchte ich mich auf diesem Wege mit beiliegender Urkunde für Ihre Bewerbung und für Ihr Engagement bedanken. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie auch im kommenden Jahr Ihren wichtigen Einsatz für ein respektvolles Zusammenleben fortführen.“
Der Text der Urkunde lautet:
„Das Wernigeröder Interkulturelle Netzwerk e. V. hat sich mit dem Projekt
„Musik ist unser Leben“ für den Integrationspreis 2016 des Landes Sachsen-Anhalt beworben. Hiermit wird der beispielhafte Einsatz für die Integration von Zugewanderten und ein respektvolles Zusammenleben gewürdigt.
Die Landesregierung bedankt sich für das Engagement.
Magdeburg, den 13. Dezember 2016“
Da unser Antrag in Teilen einem Geschäftsbericht entspricht, wird dieser hier wiedergegeben, damit Interessierte auch mehr über die Vereinsarbeit erfahren.
Um Interesse und Verständnis für andere Kulturen und ausländische Menschen zu schaffen besuchen Vereinsmitglieder mit ausländischen Müttern Kindergärten und Schulen. Die ausländischen Mütter erzählen über ihr Herkunftsland, das Leben der Kinder in ihrem Land, spielen und singen gemeinsam mit den besuchten Kindern.
Jeden letzten Mittwoch im Monat veranstalten wir ein „Frauen-Sprachkaffee“. Im lockeren Gespräch miteinander wollen die Frauen die deutsche Sprache üben und die Kulturen besser verstehen lernen. 25 bis 40 Teilnehmerinnen, überwiegend Migrantinnen.
Jährlich feiern wir ein „Interkulturelles Sommerfest“ im Bürgerpark und im November einen „Kulturellen Abend International!“ im Rathaus mit Musik, Tanz und internationalen Speisen unserer Mitglieder. Zu beiden Veranstaltungen haben wir Flüchtlinge auch aus der ZAST Halberstadt eingeladen, Fahrtkosten, Essen und Getränke bezahlt.
Mit speziellen Projekten zeigen wir die Fähigkeiten und Talente der hier lebenden Ausländer. Mit dem Modenschauprojekt „ohne Grenzen“ konnte eine Italienische Servicekraft beweisen, was sie in Mailand beim Designstudium gelernt hat. Bei dem Projekt haben Italienerin, Vietnamesen, ein Brasilianer und Deutsche sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Auf Einladung des Landes wurde die Modenschau auch noch einmal im Berliner Gebäude der Landesregierung gezeigt.
Im August 2015 luden die Kreisverwaltung Halberstadt und Netzwerk „Integration“ zu einer Veranstaltung ein. Dabei wurde um Unterstützung bei der Arbeit mit Asylsuchenden geworben.
Mehrere WIN-Mitglieder, 2 davon mit Arabisch-Sprachkenntnissen, nahmen sofort Unterstützungsarbeit in der Zentralen Aufnahmestelle in der Kreisstadt Halberstadt auf. Die Mitglieder halfen wöchentlich an mehreren Tagen vor Ort, mit Sozialarbeitern, Arzt, Polizei, Wachdienst, BAMF, Jugendamt, Ausländeramt, Transferstelle, Psychologischen Diensten, usw. Gespräche zu führen und Regelungen im Interesse der Flüchtlinge und der Behörden zu finden und zwar sowohl in der ZAST wie auch bei den Halberstädter Behörden. Nur 2 oder 3 arabisch sprechende Mitarbeiter standen stundenweise für manchmal über 3000 Flüchtlinge pro Tag zur Verfügung. Der Unterstützungsbedarf war gewaltig.
Häufig standen Flüchtlinge, auch Vater und 7jähriger Sohn, fassungs- und orientierungslos mit ihrem Gepäck auf dem Bürgersteig vor der Transferstelle, weil man ihnen mit einem deutschsprachigen Bescheid mitgeteilt hatte, dass sie sich in der ZAST nicht mehr aufhalten dürften und auf eigene Kosten nach Griebo müssten. Die Flüchtlinge konnten weder Deutsch sprechen noch lesen, wussten nicht was Griebo ist und waren oft mittellos. Die Transferstelle konnte nach eigenen Angaben nicht mit Bahnfahrscheinen oder sonst wie helfen. 1 WIN-Mitglied fuhr dann die Flüchtlinge zum Bahnhof, kaufte ihnen auf eigene Kosten Fahrkarten, manchmal noch Essen oder gab einen Geldschein mit. In extremen Fällen fuhr das WIN-Mitglied mehrere Flüchtlinge nach Griebo oder Freitag nach 18 h vier Personen nach Salzwedel.
Andere WIN-Mitglieder halfen in der Kleiderkammer oder gaben regelmäßig Kindern in der ZAST Deutschunterricht.
WIN sammelte sehr umfangreich Winterkleider und –schuhe, Koffer, Kinderwagen, Babybedarf, Buggies, Decken und beschaffte auch gezielt für einzelne Flüchtlinge Rollstühle. Waren die Flüchtlinge dann bereits auf Transfer geschickt worden, wurden die Spenden auch nach Bad Dürrenberg, Halle oder Sangerhausen zu den Familien gefahren.
Mindestens 2 mal wöchentlich wurden die Kleiderspenden in die ZAST gebracht. In Einzelfällen fuhr das Mitglied auch Flüchtlinge in die Innenstadt und kaufte für diese auf eigene Kosten Winterstiefel oder Winterjacken.
Bei der Unterstützung der Flüchtlinge in der ZAST wurden wir oft auf Arbeits- und Studienmöglichkeiten und auch mehrfach von syrischen Musikern angesprochen, die gern in Deutschland musizieren wollten. Wir sammelten die Adressen der Musiker.
Es entstand die Grundidee zu dem Projekt, den Flüchtlingen nach monatelanger Flucht mit Entbehrungen und anschließender Kasernierung in Massenunterkünften wieder ein paar Tage Normalität mit Gelegenheit zum Musizieren zu verschaffen und ihnen die Integration in die deutsche Gesellschaft in ihren studierten Berufen oder ihrem Musikhobby zu erleichtern. Der Vereinsvorstand von WIN gab die Zustimmung zu dem Projekt und beschloss die Finanzierung der Kosten in Höhe von ca. 1.800 €.
Alle studierten Musiker und Hobbymusiker wohnten zu dem Zeitpunkt noch in Massenunterkünften. Nach einem ersten Treffen in der Stadt Burg erfolgte die Organisationsplanung und Medienarbeit. Die Flüchtlinge wurden bei ihren „Urlaubsanträgen“ unterstützt. Es wurden Wohnraum und Übungsräume für ca. 10 Tage besorgt, Musikinstrumente vom Landesmusikgymnasium und Privaten ausgeliehen, Fahrtkosten, Lebensunterhalt und einheitliche T-Shirts mit der Aufschrift „Musik ist unser Leben“ sowie sprachliche Betreuungskosten finanziert und vielfache Unterstützung bspw. mit Fahrerdiensten (1.600 km) geleistet. Die Musiker waren glücklich, dass sie wieder Musik machen konnten und mit ihrer Musik Dank sagen konnten an die Deutschen.
Ein erster Auftritt erfolgte beim Kulturellem Abend International (KAI) des WIN-Vereins am 14.11.15, im Rathaus. Mit einem Dank-Konzert am 18.11.2015 in der Remise bedankten sich die Musiker für die Aufnahme in Deutschland. Die Zuhörer in dem ausverkauften Saal klatschen begeistert Beifall.
Das Konzert zeigte einen guten Start in die Flüchtlingsarbeit in Wernigerode. MDR-Fernsehen, Volksstimme und Generalanzeiger berichteten sehr positiv über das Konzert, was für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wichtig war.
Herr Fitzner, Musikdirektor des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode, besuchte das Konzert und sagte ebenfalls Unterstützung für die weitere Förderung der Musiker zu. Der Pianist Aeham Achmed wird gemeinsam mit dem PKOW am 4. November 2016 in Wernigerode ein Konzert geben.
Es hat ein zweites Konzert der syrischen Musiker stattgefunden (24.1.16). Ein weiterer Fernsehsender wollte ein Konzert der syrischen Musiker filmen und die entstehenden Kosten für Raummiete, Fahrt- und Unterbringungskosten tragen.
1 Tag nach Veröffentlichung der Einladung erfolgte eine Absage mit Bezug auf Vorkommnisse in Köln. WIN-Vorstand Lothar Andert als Organisator hielt das für das falsche politische Zeichen und führte die Veranstaltung auf eigenes finanzielles Risiko und im Namen von WIN durch. Die Musiker wollten sich in der Remise mit einem weiteren Konzert für die Hilfe und Unterstützung in Deutschland bedanken. Und damit auch ein Zeichen setzen, denn die Asyldebatte nach den Vorfällen in Köln zum Jahreswechsel hat die Lage der um Integration bemühten Flüchtlinge nicht verbessert und die öffentliche Meinung verschlechtert. Auch dieses ausverkaufte Konzert wurde wieder ein voller Erfolg und von den Bürgern und den Medien sehr positiv angenommen.
Inzwischen wohnen alle Musiker mit Geschwistern in Wernigerode. Nach dem sie ihren Wohnsitz frei wählen konnten, entschieden sich alle für „die bunte Stadt am Harz“.
Vor allem unser arabisch sprechendes Mitglied Werner Kropf begleitet die Flüchtlinge in Wernigerode und Halberstadt zu den Behörden wie Einwohnermeldeamt und Koba, Krankenkassen, Banken, Wohnungsbaugesellschaften, Sportvereinen, Ärzten, Zahnarzt, Optiker, Kirchen, Schulbehörden, Gebrauchtmöbelhändler, Kreismusikschule, Bildungsinstituten für Integrationskurse. W. Kropf und andere WIN-Mitglieder besorgen Umzugsfahrzeuge, organisieren Umzüge, und, und, und. Im Zeichen der Familienzusammenführung holte Herr Kropf sogar die Eltern eines Musikers vom Flughafen Berlin ab.
Herr Kropf lädt Flüchtlinge zu sich nach Hause ein, zeigt ihnen Wernigerode und organisiert privat Fahrten zu Sehenswürdigkeiten im Landkreis.
Wir unterstützen die Betreuten mit Möbeln, Einrichtungsgegenständen und täglichem Bedarf und bei allen Behördengängen. Oft auch mit privaten Spenden, bspw. für doppelte Mietzahlung bei Wohnungswechsel. Dabei behalten wir unser Ziel im Auge, sie möglichst auch in ihre Berufe und zum eigenständigen Handeln zu bringen.
Die syrischen Musiker werden immer wieder gebeten, bei verschiedenen Veranstaltungen zu spielen. In Benneckenstein, bei den Neinstedter Anstalten, bei Kirchenveranstaltungen, einer kirchlichen Jugendfreizeit und bei einer Kundgebung gegen die Identitäre Bewegung sind sie aufgetreten. Sie sind dazu gern bereit, allerdings mussten jedes Mal Musikinstrumente von Privatpersonen und Institutionen geliehen werden. Aus einer zweckgebundenen Spende wurde deshalb eine Bouzouki (250 €), eine Sitztrommel (109 €) und eine afrikanische Trommel (108 €) gekauft und dem jeweiligen Musiker mit der Auflage übereignet, dass er das Gerät in den nächsten 5 Jahren nicht verkaufen soll. Die Musiker sind jetzt freier in ihrer Entwicklung, können nach Belieben proben und sich mit anderen Musikern in Wernigerode zusammentun.
Während der Zeit der Integrationskurse verschafften wir den Flüchtlingen Jobs in einem Restaurant, einem Autohaus, bei 2 Frisörgeschäften, einem Hotel.
Der Musiklehrer hat jetzt seit dem 1.10.16 einen einjährigen Arbeitsvertrag mit einer Kirchengemeinde abgeschlossen. Er wird dort die Flüchtlingsarbeit und regelmäßige Veranstaltungen wie das „Cafe International“ organisieren, Chorarbeit unterstützen und mit Kindern musizieren. Damit kann er einerseits im studierten Beruf arbeiten und ist andererseits nicht mehr auf finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen. Beim Landesmusikgymnasium gibt er wöchentlich Musikunterricht.
Inzwischen hatten die Musiker schon etliche öffentliche Auftritte bei Veranstaltungen gemeinnütziger Organisationen und Kirchen.
2 WIN-Mitglieder haben auch bei 2 Veranstaltungen vor dem Rathaus gegen die „Identitären“ gesprochen:
„Die Medien schreiben von 61 „Flüchtlingen“ im Schlauchboot, die in Europa und irgendwann in der ZAST ankommen. Nach Wernigerode kommen aber 61 individuelle Menschen, Persönlichkeiten, deren Rechte geachtet werden müssen. Auf dem Gerhart-Hauptmann-Stein in Wernigerode steht:
Die Welt wird weder mit Gold noch durch die Gewalttat erlöst, sondern allein durch Menschenachtung, durch Humanität.
Die syrischen Musiker haben dabei einmal als Besucher und bei der zweiten Veranstaltung gegen die „Identitären“ mit ihrer Musik sehr zur Freude der Teilnehmer „Farbe bekannt“.
Alle syrischen „Musiker“ in Wernigerode sind noch in den Integrationskursen. „Musikalisch“ haben sie sich schon integriert, sind in Chören oder bei der Musikschule als Schüler oder in ihrer Band aktiv. Wir werden sie und ihre Familienangehörigen in Wernigerode weiter begleiten und unterstützen. Einige helfen auch schon aktiv anderen arabisch sprechenden Flüchtlingen bei Behördengängen oder der Vermittlung von Helfern.